"YOGA BRINGT DOCH NICHTS!"


ODER WARUM ALLES YOGA SEIN KANN!

Wenn man bei Youtube nach "Rückbildung" sucht, dann finden sich hunderte Fitnessvideos, Bodyworkouts und jede Menge Pilatesvideos. Yoga ist nur ganz selten dabei. Bringt Yoga etwa nichts? Müssen wir schnelle Crunshes üben bis die Bauchdecke zittert oder komische Aerobicschritte lernen, um wieder in Form zu kommen? Ich gebe zu, dass ich nach Lios Geburt ein bisschen unruhig wurde als ich nach zwei Monaten noch nicht wieder in die alte Lieblingsjeans gepasst habe. Beim zweiten gehts irgendwie schleppender voran. Und ich hatte tatsächlich die Befürchtung, dass ich mich mit meinem neuen Körper arrangieren muss. Ich bin ja auch keine 20 mehr. So kommt eins zum anderen. Trotzdem kein gutes Gefühl, auch wenn der ein oder andere sicher gedacht hat, ich jammere auf sehr hohem Niveau. Schliesslich muss ich mich ja wohlfühlen in meinem Körper. Wahrscheinlich geht es sehr vielen (Neu-)Mamas ähnlich wie mir. Ich finde, man darf auch mal unzufrieden sein mit seinem Körper. Auch wenn man sich Yogini nennt. Die Geburt eines Kindes ist monumental. Der Fokus verschiebt sich plötzlich hin zu diesem kleinen Wunderwerk Mensch, das wir selbst gezeugt haben, das in uns gewachsen ist. Wahnsinn! Schwanger sein ist eine der schönsten und wertvollsten Erfahrungen, die ich je machen durfte. In dieser heiligen Zeit blicken wir monatelang voller Stolz auf unseren Bauch - bis das Baby da ist. Und dann? Die traurigen Überreste in Form unschöner Hautlappen erinnern uns täglich daran: du hast ein Kind bekommen. Das ist normal! Von Schwangerschaftsstreifen und Cellulite an Po und Oberschenkeln mal ganz abgesehen. Je nach Veranlagung hat Frau hier erstmal gut zu tun all diese Baustellen in ihrem Körper schön zu finden. Oh, my Yogi, Akteptanz. Lass mich in Ruhe damit!

Ich habe in dieser Zeit so einiges an Rückbildungsgymnastik und "Bodyworkouts" alla Jane Fonda oder Tracy Andersen ausprobiert. Und sofort wieder die Lust verloren. Plötzlich hatte sogar ich, die sich immer gern bewegt und spürt, mit einem ganz gewaltigen Schweinehund zu kämpfen. Nein, das kann`s nicht sein. Zurück zum Yoga.

Doch auch die eigene Yogapraxis erfährt eine echte Achterbahnfahrt, wenn man unzufrieden mit sich und seinem Körper ist. Immer wieder erwischte ich mich, dass ich doch noch mal schnell ein paar Bauchübungen einbaute und `ne extra-Runde Chaturanga drehte, obwohl Körper und Geist sich vielmehr nach ruhigen, achtsamen Bewegungen sehnten. Der Fokus verlagerte sich hin zu "immer mehr und besser werden" und das möglichst schnell. Ausgeglichen fühle ich mich danach nicht. Eher noch ein bisschen gestresster. Yoga wird zum Fitnessprogramm. Das ist das, was ich nie wollte. Yoga als Mittel zum Zweck. Die Philosophie lehrt uns, ein Ziel vor Augen zu haben oder Wünschen und Träumen hinterher zu rennen, entfernt uns weg aus dem Moment. Wir sind gedanklich in der Zukunft. Wir sind nicht bei uns. Schon wieder nicht. Dabei wäre doch genau das so wichtig für uns Mütter. Daneben steht immer wieder die Frage: gibt es nicht wichtigere Dinge im Leben? Sollte ich nicht einfach glücklich sein, zwei wundervolle Kinder zu haben? Und alles andere einfach ein bisschen lockerer angehen lassen? Die Antwort ist ganz klar: Ja. Aber..... und wieder fühle ich mich ein bisschen gestresst.

Tatsächlich lässt sich nicht bestreiten, dass Pilates und diverse Bodyworkouts sehr effektiv sind, besonders nach der Geburt. Wenn du aber auch jemand bist, der diese Fitnessprogramme einfach sterbenslangweilig findet, dann probiere es mal aus, daraus dein eigenes Yogaprogramm zu machen. Das ist gar nicht so schwer. Viele Postnatal-Yogakurse sind voller Elemente aus dem Pilates. Schau dir beispielsweise ein Video oder ein Buch über effektives Bauchmuskeltraining an und baue es in deine Yogapraxis ein. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass du die Übungen superlangsam und in Harmonie mit deiner ruhigen, bewussten (Yoga-)Atmung übst. Mit der Ausatmung gehst du langsam in die Anspannung, mit der Einatmung kannst du vertiefen und intensivieren. Mit der Ausatmung lösst du die Anspannung wieder auf. Zieh dabei einatmend den Beckenboden kraftvoll nach innen und oben, halte ihn so gut du kannst und sauge dann deinen Bauchnabel zur Wirbelsäule während du ausatmest. Mit jeder Einatmung setzt du einen neuen Impuls für deinen Beckenboden und aktivierst ihn erneut.

Ich war nie so recht Fan von Bauchmuskeltraining in der Yogaklasse, weil mich schon allein der Gedanke an das Wort Training im Yoga gestört hat. Viel mehr als das Boot musste es nicht sein. Schliesslich formt und kräftigt Yoga doch auch so den ganzen Körper. Und überhaupt, es geht doch um den Fokus nach innen. Oder? Meine Einstellung änderte sich grundlegend als ich meine erste Pranaflow-Fortbildung bei Christine May absolvierte und dort plötzlich diese blumige Umschreibung "Core Cultivation" im Raum stand. Im Prinzip nichts anderes als Bauchmuskeltraining und doch ging das Gefühl dabei viel tiefer. Ich spürte mich kraftvoll, energiegeladen und war dabei trotzdem ganz still und voller Ruhe. Ganz bei mir.

 

sthira-sukham-āsanam

 

Durch Kraft (Sthira) und Gelassenheit (Sukham) entsteht Harmonie im physischen Körper (Asana)

 

Die "perfekte Asana" enthällt also immer beides: Anspannung/ Kraft/ Aktivität und auf der anderen Seite Ruhe/ Gelassenheit.

Yoga soll nicht zu einem Sportprogramm verkommen, aber du hast immer die Möglichkeit, kreativ zu sein. Die Grenzen sind fliessend. Alles ist erlaubt, was mit Bewusstsein gefüllt wird. So wird auch jeder Crunch zur Asana. Und ganz nebenbei bringst du deinen Körper wieder in Form.

 

Mein neues Video "Yoga nach der Geburt" beginnt mit einer Core Cultivation, was in jeder Hinsicht sehr sinnvoll ist. Zum einen haben die Babys (wenn sie mitmachen müssen) am Anfang meist noch gute Laune. So haben wir unsere Körpermitte schon mal gestärkt. Zum anderen ist es essenziell den Fokus auf unser Kraftzentrum zu richten, bevor wir weiterüben, weil wir die allermeisten Asanas aus der Mitte heraus aufbauen um unseren Rücken zu schützen.

 

Am Ende liegt die Kraft eben doch in der Ruhe. Und Yoga ist dabei dein perfekter Begleiter. Eines hat meine Hebamme immer gesagt, wenn ich quengelig und ungedulgig auf meine Hüften geschaut habe: du wirst sehen wofür das noch gut sein wird! Und sie hatte Recht! Jetzt nach fünf Monaten ist von den zusätzlichen Kilos nichts mehr zu sehen. Dein Baby wird aktiver. Es fordert dich mehr und mehr. Und wenn dann nur ein mittelschwerer Infekt oder ähnliches hinzukommt, greift dein Körper auf deine Reserven zurück. Also sei froh, dass du sie (noch) hast. Du wirst sie ganz sicher brauchen.



 

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